Tanz . Ausstellung "corpus" . Beate Debus . Städtische galerie ada Meiningen . 2007
Tanz 2006 . Eiche . H/B/T 220/50/56 cm

Wie eine Skulptur entsteht

Meine Idee ist, eine Skulptur zu schaffen, deren Standfläche schwerfüßig fest auf dem Boden lagert, aber gleichzeitig senkrecht, leicht tänzelnd sich nach oben bewegt, sich loslöst und öffnet.
Entsprechende Gesten teste ich an und mit meinem eigenen Körper aus und reflektiere dabei meine Idee. Meine Füße presse ich fest auf den Boden und bewege mich nach oben. Die Arme in Aktion umschließen meinen Körper weiträumig. Ich möchte einen größtmöglichen Raum zwischen dem senkrecht stehenden Körper und der waagerecht verlaufenden Bewegung schaffen. Aus Ruhe wird Dynamik erzeugt. Analog der menschlichen Figur bestimme ich die Standfläche als Richtungsverhältnis. Ich taste in Gedanken die Umrisse ab, die sich fließend nach oben produzieren, ihren Höhepunkt im rhythmisierenden Armkreis erreichen, dann aber wieder in sich geschlossen zur Ruhe kommen. Ich reflektiere die Situation und verarbeite diese gedanklich in eine innere und äußere Geste. Dabei dürfen sie nicht zur Pose werden.

Ich notiere als Arbeitsüberschrift: „Stabile Unruhe“.

Skizzen entstehen auf herumliegenden Papieren und ich setze diese in erste Zeichnungen um. Beim Zeichnen spüre ich kaum einen Widerstand. Die Zeichenkohle, der Stift oder der Pinsel gleiten weich und gefügig über das Papier. Das ist gut so für das Suchen nach Formen. Ich setze Linien und Flächen und dehne meine Zeichenbewegung bis zum Bildrand aus. Dabei habe ich immer den Stamm im Sinn, der sich nicht so gefügig beeinflussen lässt, sondern widerspenstig, eigenlebend ist. Ich reduziere und abstrahiere das Gezeichnete. Mein Anliegen ist es, den Inhalt durch die abstrakte Form nicht flüchtig und unangreifbar zu machen. Form darf nicht zufällig und isoliert sein, sie muss den Wirklichkeitsgehalt des Abgebildeten transportieren. Das, was ich im Sinn habe, möchte ich konkret, fassbar und greifbar darstellen.
Da mir das Plastische auf meiner Fläche, das Dinghafte fehlt, greife ich jetzt zur Collagetechnik. Flächen, Raster und Linien schneide ich aus einem Bogen Papier, lege einen zweiten dahinter, schichte Bogen für Bogen übereinander, addiere Formen, polarisiere sie in hell und dunkel. Die schwarzen Flächen müssen sich beziehungsvoll in den Gesamtkanon einreihen, aber auch einen aussagekräftigen Akzent bilden. Ich verschaffe mir immer mehr Klarheit über das Werden der Skulptur. Vor dem eigentlichen handwerklichen Arbeitsprozess brauche ich diesen Gedankenvorsprung, den ich nun in den Stamm projiziere.
Ich habe für diese Skulptur einen sehr wuchtigen Stamm ausgewählt, eine Eiche, denn die Skulptur darf nicht zu schmächtig werden.
Sinnierend darüber, wie viel Fleisch ich aus ihm herausschneiden muss, umschreite ich unruhig seinen Umfang.
Die immer gleiche Prozedur beginnt, ich schäle die Rinde vom Stamm – eine sehr mechanische Arbeit, bekomme aber während des „Enthäutens“ eine Vorstellung über dessen Wuchs und Zustand. Aber durchaus auch pragmatische Erwägungen machen diese Arbeit wichtig. Bäume, die einst Straßen säumten oder Gärten und Ackerfelder einfriedeten, wurden gerne als Informationsträger für Plakate benutzt. Oder auch ganze Koppelzäune wurden an ihnen befestigt. So manches Mal stoße ich auf Überreste wie alte Nägel oder Schrauben. Über die Jahre wuchs immer mehr Fleisch darüber. Treffe ich mit meinem Werkzeug auf einen solchen Fremdkörper, muss die Kette meiner Säge erneut geschärft werden und mein Arbeitsprozess ist gleich unterbrochen.
Der nackte, geschälte Stamm steht nun mit seiner körperlichen Pracht vor mir. Mit schwarzen Konturen umreiße ich die Gestalt meiner Idee auf die Rundung seiner Außenhaut.

Das Handwerk kann beginnen. Ohrenschützer und Mundschutz isolieren mich von meiner Außenwelt. Ich bin sehr angespannt. Das Arbeiten mit der Motorsäge erfordert sehr viel Konzentration. Und bei jeder Skulptur, die ich beginne, stelle ich mir erneut die Frage, warum ich mir diese körperliche Prozedur antue, bei der alle Sinnesorgane leiden müssen. Ich hätte ja auch eine andere Kunstart für die Umsetzung meiner Ideen finden können. Nein, ich kann mir meine Arbeit ohne das Schneiden im Holz nicht mehr vorstellen. Über viele Jahre habe ich gelernt, probiert und geforscht, um die Formen und Aussagen einer Skulptur herauszufinden, die einem solchen Arbeitsprozess standhalten. Bildhauerei ist nicht nur ein handwerklicher Prozess, es gehört auch und vor allem sehr viel körperlicher Einsatz dazu. Mit meinem Körper, meiner Hand lasse ich Material zu Form und Gestalt werden.
Zunächst zaghaft, setze ich die Säge an und führe das Schwert entlang meiner ersten Kontur. Immer wieder trete ich zurück, um die Proportionen des gesamten Körpers nicht aus den Augen zu verlieren. Stück für Stück entnehme ich Masse, muss die Grenze setzen zwischen der Basisform und der aktiven Form. Diese braucht das meiste Volumen. Folglich lasse ich da die Masse von Außenhaut zu Außenhaut stehen und konzentriere mich zunächst auf die Basisform, dem inneren Standkörper. Viele untereinander gesetzte Horizontalschnitte helfen mir, Holz mit dem Eisen abzuschlagen. Sukzessiv arbeite ich mich vor. Dabei werde ich von Spänen und Holzstücken umlagert. Sie lenken ab und sind auch gefährlich, da ich in Gedanken bei meiner Arbeit nicht immer auf den Boden schaue und zu stolpern beginne. Ein Zeichen, Abstand zu gewinnen. Ich höre für heute auf, trage bergeweise Holzspäne weg. Abends bei Dämmerlicht werfe ich noch ein spähendes Auge auf Vollbrachtes.
Ich sehe noch so unendlich viel Arbeit vor mir. Aber nichts ist verloren – wie beruhigend. Auch wenn meine Konzeption völlig falsch gelegen hätte, bestünde noch die Möglichkeit für Änderungen.
Weiter beschäftige ich mich mit dem Freilegen des Armkreises, der aktiven Form und darf dabei aber nicht vergessen, dass der Fuß so massiv wie möglich erscheinen muss. Er soll die Standmasse, die das Richtungsverhältnis angibt, verkörpern. Beim Freischneiden stoße ich fortwährend auf handwerkliche Grenzen. Ich kann mit meiner Säge nicht vordringen, immer behindern mich überstehende Holzmassen. Schnell lasse ich mich dann auf gefährliche Aktionen ein und krieche förmlich in den Stamm hinein. Aber letztendlich muss ich ihm doch mit dem Eisen und Bildhauerknüppel zu Leibe rücken.
Der Raum zwischen Leib und Armkreis ist vorläufig groß genug und es ist an der Zeit, die Bewegung der Armlinien zu bändigen. Ich addiere Flächen und Formen zu gliedernden Ornamenten, die aber keinesfalls autonom, vielmehr als schlüssige Fortführungen des gesamten Körpers erscheinen sollen. Dabei möchte ich, dass die Armlinien weiträumig den Grundkörper umgarnen.
Die Senkrechte des Standkörpers und die waagerechte Betonung der Armschwingung sind aus dem Koordinatensystem abgeleitet. Das entspricht dem Gesetz der Schwere. Ich beginne mit der Formung des Leibes. Er gipfelt am Beginn der Umrundung des Armes und ich muss einen schlüssigen Ansatz finden. Schließlich darf die schwarze, fließende und waagerechte Form nicht Dekor sein, denn die Polarisierung der einzelnen Elemente ist schon in meinem Kopf. Ich muss einen formalen Zusammenhang herstellen, der beide Pole nicht auseinander fallen lässt. Der Ansatz darf nicht flächig aneinander stoßen, sondern einen nachvollziehbaren Form auf Form addierenden Zusammenhang, aber auch gleichzeitig einen klaren und erkennbaren Absatz bilden.
Noch fehlt der gesamten Skulptur ein gewichtiges Verhältnis zwischen Senkrechte und Waagerechte. Also nehme ich noch Masse vom Standkörper weg, denn ich möchte ein gutes Gleichgewicht zwischen Stabilität und Unruhe erreichen. Eine Gleichförmigkeit der Umrisse bemerkend, löse ich die symmetrische Ordnung auf. Ich verfolge mit meinem Blick Linie für Linie, Fläche zu Fläche, korrigiere mit meiner kleinen Kettensäge Unstimmigkeiten und unschlüssige Bewegungsabläufe. Es gibt kein Paradigma in meinen Skulpturen, das die Formenzusammenhänge und Rhythmen in jeder neuen Arbeit anwendbar macht. Jede Arbeit birgt neue Gesetzmäßigkeiten in sich. Eigentlich beginne ich immer wieder von neuem. Vielleicht funktioniert das Negationsgesetz, bei dem ich bewährte Strukturen, Erlebtes und Erfahrenes oft unbewusst übernehme. Ich denke, dass es gut so ist, um nicht mechanisch Arbeit für Arbeit abzuwickeln.
Die genaue Formulierung aller Formen und Aussagen innerhalb meiner Skulptur versuche ich nun durch Schleifen der Oberfläche zu steigern. Ohne die Ruppigkeit der Haut erziele ich eine Straffung, die die gesamte Skulptur in Spannung setzt. Ich kann Kanten, Flächen und Formen viel besser ausformulieren, ja sogar haptisch erlebbar machen. Eine Linie beispielsweise, die in ihrem Fluss durch Unregelmäßigkeiten unterbrochen wird, schwächt den formalen Zusammenhang. Es besteht die Gefahr, dass die einzelnen Formenteile optisch auseinander brechen.

Hin und wieder streichle ich über die geschliffenen Formen, um deren Substanz und Inhaltlichkeit zu spüren. Die tiefen Furchen meiner Arbeitsspuren, die ich dem Fleisch des Baumes zugefügt habe, bleiben grafisch sichtbar. Ich schwärze sie sogar beim Brennvorgang, um die Baumhaut in ihrer Verletzlichkeit sinnlich erlebbar zu machen, aber auch um eine Verbindung zwischen der geschwärzten Armschwingung und dem Standkörper herzustellen. Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel wird dadurch homogener.
Bei diesem Arbeitsprozess bekomme ich eine immer innigere Beziehung zu meiner nun entstandenen Skulptur. Das begründet sich auch mit der körperlichen Nähe, die ich jetzt mit ihr zwangsläufig herstelle. Ich stehe inmitten des weit ausschweifenden Armkreises, der einen unendlich orthogonalen Raum zu bilden scheint.
Am Ende, wenn es überhaupt ein Ende gibt, stehe ich nun einer Gestalt gegenüber, deren Geste ich im Vorfeld nicht durch ein Reflektieren des Gesehenen, sondern durch das Reflektieren der Reflektion geformt habe.

Ein geformtes Dasein. Ich nenne die Skulptur „Tanz“.

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